Jedes Kind ist auf seine eigene Art speziell und einzigartig. Ein Individuum eben. Das Tempo ist individuell, die Vorlieben sind individuell und auch der Prozess des Wachsens ist einzigartig. Wie viel Begleitung Kinder dabei brauchen? Ich weiss es nicht. Ich weiss nur, dass es darauf keine pauschale Antwort gibt und Eltern ihr Kind dazu erst lesen lernen müssen. Über das Miteinander und das Reichen von Händen.
Was das Leben schön und besonders macht? Menschen, die signalisieren, dass ihre Hand immer gestreckt neben einem läuft. Im kleinsten Moment kann man sie greifen, sich in ihren Schutz begeben und sofort ist man nicht mehr alleine. Der Entwicklungsprozess von Kindern sollte genauso ablaufen. Stück für Stück reichen wir Eltern Hände, signalisieren, dass wir da sind und jederzeit eingreifen. Und nach und nach ziehen wir unsere Hände immer wieder weg, lassen sie aber ausgestreckt.
Zum Greifen nahe
Wie gerne würde ich in 20 Jahren mit meiner Tochter auf einer Bank sitzen, über ihre Kindheit sprechen und das Gefühl haben, dass mein Schutz für sie immer in greifbarer Nähe war. Kinder dürfen sich austoben, wütend sein, schreien und weinen. All das ist ok. Und wichtig. Gefühle müssen raus, sind kein Zeichen von Schwäche. Das darüber reden, das gemeinsame Finden von Lösungen und Alternativen macht eine Elternschaft auf Augenhöhe aus. Erst gestern Abend hatten wir solch einen Moment. Das große Mädchen weinte, für mich zunächst grundlos, schrie und rannte stink wütend durch die Wohnung. Noch vor wenigen Monaten wäre ich vollkommen ausgerastet, hätte geschimpft und wäre mit den Nerven am Ende gewesen. Doch irgendwann habe ich gemerkt, dass die Situation dadurch nur kurzzeitig eine andere geworden ist. Gestern Abend setzte ich mich auf den Boden, beobachtete und signalisierte immer wieder, dass ich da bin. Dass das gerade alles ok ist, sie solange schreien und weinen kann, wie sie möchte und wir einfach abwarten. Ich frage oft, ob ich etwas tun kann, ob sie Nähe möchte oder ich einfach gehen soll. Wenn die Worte nicht gesprochen werden können, reichen Blicke und Kopfbewegungen. Wir sind besser geworden, können uns besser lesen und die Bedürfnisse des anderen bewusster befriedigen.
Das Gefühl, dass der eigene Charakter akzeptiert wird, kann den kleinen Kinderseelen den Alltag leichter machen. Denn ist es nicht das, was auch wir Erwachsenen von anderen erwarten? Uns zu nehmen, wie wir sind? Warum sollen Kinder dann nicht so sein dürfen, wie sie sind? Es gibt keine Patentrezpte, keine goldenen Regeln und kein goldenes Buch für Eltern. Wenn es das geben würde, wäre ich garantiert eine der Ersten, die es kaufen würde. Elternschaft hat viel mit dem eignen Finden und dem Finden des Kindes zu tun. Kinder brauchen Begleitung, Vertrauen und einen Hafen, in den sie immer wieder einkehren können. Ein Heim, das signalisiert: hier bist du geschützt, hier kannst du so sein, wie du bist.
Wusstet ihr, dass das Selbstwertgefühl bis zum siebten Lebensjahr geformt wird und Erwachsene so reagieren, wie sie als Kind behandelt wurden? Wenn ich also ständig am Kind rumdoktere, Charakterzüge nicht akzeptiere und keinen Raum lassen, dann kann dieser Mensch auch als Erwachsener nicht an sich glauben und versucht immer sich anzupassen.