Die Tage danach. Still. Laut. Unvorstellbar. Traurig.
Es ist Samstag. Um kurz nach halb 4 klingelt mein Telefon. „ Seid ihr in Sicherheit? In der Stadt gab es einen Unfall. Dort ist jemand mit einem Bulli in eine Menschenmenge gefahren.“ Der Kloß sitzt sofort tief im Hals. Die Hubschrauber, die über uns fliegen, haben wir bemerkt uns aber nichts schlimmes gedacht. Innerhalb von Sekunden bekomme ich Angst. Was genau passiert hier gerade? Immer wieder hören wir Sirenen, der Hubschrauber wird noch bis tief in den Abend über unserem Haus fliegen.
Angst und Krieg. Eine von uns Menschen geschaffene Möglichkeit anderen Menschen ein schlechtes Gefühl zu geben. Die Angst kommt näher oder ist das nur ein Gefühl, das ich für den Augenblick habe? Am 11. September konnte ich kaum verstehen, warum wir tagelang den Fernseher anhatten, meine Familie still und schockiert war. Damals war ich ein pubertierendes Mädchen, fand die Ereignisse schockierend und doch war es mir ein Stück weit egal. Denn Amerika war weit weg und ich ging stark davon aus, mir würde so etwas niemals passieren.
Am Abend vor unserer Hochzeit fuhr ein Mann mit einem LKW über einen Weihnachtsmarkt in Berlin und bis spät in die Nacht lief erneut der Fernseher. Diesmal verstand ich die Angst, die meine Eltern schon Jahre zuvor spürten. Sie kam näher und war nicht mehr weit von uns entfernt. Noch Tage später redete ich mit meiner Tochter über diese schrecklichen Dinge, denn was dort geschehen war, ist eine erneute Möglichkeit Angst in die Gefühle der Menschen zu bringen. Mein kleines Mädchen wird mit diesen Dingen aufwachsen müssen, denn sie werden mehr und mehr zur Realität.
Was bleibt.
Überall in unserem Viertel stehen Polizeibullis, Sirenen sind zu hören und ganz in unserer Nähe landen Hubschrauber, um Verletzte zu transportieren. Bei diesem Anblick kommen mir Tränen in die Augen. Warum zum Teufel muss ich meiner Tochter so ein Leben zumuten? Die Gerüchte mehren sich, angeblich laufen noch Täter durch die Stadt. Wir bleiben zu Hause, warten ab und sind schockiert. Der Fernseher läuft und zeigt den Platz, an dem meine Tochter 2 Stunden vor der Tat mit Freunden nach Hause gelaufen ist. Was ich im ersten Moment denke? Danke Gott, dass meiner Tochter nichts passiert ist. Was ich im nächsten Moment denke? Verdammt, warum passiert so etwas? Warum müssen Menschen sterben?
Der Morgen danach.
Die Informationen werden dichter und ich erwische mich dabei, wie ich ein wenig aufatme. Hinter der Tat steckt kein Anschlag von Islamisten. Und doch ist das, was dort geschehen ist eine tragische und überflüssige Tat. Und wieder erkläre ich meiner kleinen Tochter warum wir gestern nicht alleine mit dem Rad nach Hause gefahren sind, warum wir den Spielplatz innerhalb von Minuten verlassen haben und warum bis tief in die Dunkelheit Hubschrauber über uns fliegen. Ich zeige ihr die große Anzahl von blinkenden Polizeiautos und die noch größere Anzahl von Hundertschaften, die in unserem Viertel wacht und sofort Einsatzbereit ist. Und ich erkläre ihr, warum es sein kann, dass Polizisten mit großen Gewehren durch die Stadt laufen, Geschäfte räumen müssen und warum die Polizei auf uns aufpassen wird. Wie damals im Dezember ist sie traurig, ihre Fragen bleiben trotz der Antworten unbeantwortet und sie hat Mitleid mit dem Täter. „Aber Mama, warum hat ihm denn niemand geholfen? Und warum war der alleine, wenn es ihm nicht gut geht? Wenn der krank war, dann muss der doch zu einem Arzt? Muss ich jetzt immer Angst in der Stadt haben?“
Die Angst und das Unverständnis, die bleiben.
Viele Fragen kann ich nicht beantworten, denn es wäre falsch. Und doch sitze ich hier und frage mich, wieso ein Suizidgefährdeter keine Hilfe bekommt. Und ich frage mich, wie unser Leben in der Zukunft wird. Werden wir mehr und mehr durch die Polizei beschützt? Werden Polizisten mit Maschinengewehren zu unserem Alltag? Und was erzähle ich meinem Kind, damit es nicht in Angst aufwachsen muss?
frauraufuss
2 comments
Ihr seid definitiv näher dran. Mich hat es auch schockiert, aber ich muss zugeben, ich fühle mich nicht bedrohter als vorher. Meinem Eindruck nach nimmt man solche Bedrohungen einfach bewusster wahr, wenn man Kinder hat, dazu haben wir eine Weile in einer sehr ruhigen Zeit gelebt. Ich habe in London und Irland noch die späteren Nachwirkungen der IRA etc. erlebt. Als ich an der Sprachschule in Irland war, war uns offiziell verboten, nach Nordirland zu reisen, weil es dort eben nicht ruhig zu ging. Psychisch kranke Einzeltäter gab es schon immer und wird sie leider auch immer wieder geben. Trotzdem verstehe ich das miese Gefühl und anders als ich die Option habe, nie wieder einen Fuß in die Stadt Brüssel zu setzen, hast Du nicht die Option. Mich erinnert das auch an den Piloten von Germanwings. Es passieren schlimme Dinge und man kann sie nicht erklären. Wenn sie räumlich nah sind, nehmen sie einen noch mehr mit und wenn man Kinder hat, sowieso. Dazu kommt, dass man Dinge auch den Kindern kaum erklären kann. Ich persönlich habe aber mehr Sorge vor der zunehmenden Gewalt und Verrohung der Gesellschaft, Überfällen oder eben den wirklich oft passierenden schlimmen Unfällen. Vermeiden kann man leider nichts. Aber es ist eben auch ein Problem der Gesellschaft, wenn keiner merkt, wie krank und verzweifelt ein Mensch ist und er keine Hilfe bekommt.
Der Germanwings-Absturz geht mir nach wie vor sehr nahe. Denn ich stamme aus Haltern und kannte viele der Opfer. Und genau um das Problem unserer Gesellschaft geht es mir. Danke für deinen Kommentar!