Endlich sitze ich. Mein Tag läuft seit mehr als 17 Stunden, ich habe mein Mittagessen im Stehen gegessen und aufs Abendbrot komplett verzichtet. Wenn ich mich gleich in mein Bett lege, dann liegen da zwei kleine Menschen. Einer davon wurde heute beim Kinderarzt als faul beschrieben und die andere muss wohlmöglich die Freundschaft mit ihrer Freundin aufgeben, weil beide nach dem Sommer unterschiedliche Klassen besuchen. Wie war das noch gleich mit dem Tempo und der Individualität?
Mein großes Mädchen ist anders. War es schon immer. Feinfühliger. Sensibler. Weitsichtiger. Schon früh wusste ich, dass auf mich eine große Aufgabe warten würden. Wie ich das gespürt habe? Ich habe meinen Bauch sprechen lassen. Habe nachgedacht, meinen Kopf wieder und wieder mit allen Gedanken, Sorgen und auch den Ängsten vollgestopft, geweint, geschrien und manchmal auch den Mut verloren. Das erste Jahr war hart. Es hat mich in vielen Punkten unglaublich geprägt und viele Blockaden in meinen Kopf und die Gedanken gesetzt. Oft sind wir belächelt worden, abgestempelt und manchmal habe ich selber an meiner Intuition gezweifelt.
Während ich mit meinem alkoholfreien Radler und meiner Tüte Lakritz auf dem Boden im Babyzimmer sitze, muss ich laut lachen. Wir Eltern schreien laut nach Individualität, nach eigenem Tempo, nach kleinen Stupsern auf dem Weg zu den eigenen Erfahrungen. Und warum? Damit wir am Ende wieder vergleichen? Ich bin da raus. Ich habe darauf einfach keine Lust mehr. Meine Kinder sollen lernen, dass sie so, wie sie sind, richtig sind. Dass es ok ist, wenn man mit vier plötzlich lesen möchte. Dass jedes Kind sein eigenes Tempo hat und jeder Schwächen und Vorlieben hat. Dass es aber immer wieder Kinder gibt, die schneller, langsamer, einfacher oder schwerer lernen und leisten können. Viel wichtiger ist mir aber, dass Leistungen nicht das Leben bestimmen sollten.
Ich will nicht mehr vergleichen. Ich möchte mein Kind anschauen, voller Stolz platzen und glücklich für unser Miteinander sein. Ich möchte eine Hand reichen, den Weg begleiten und lernen lassen, dass Niederlagen zum Leben dazugehören. Ich möchte wachrütteln, denn unsere Gesellschaft ist bunt, voller Menschen, die unterschiedlicher nicht sein könnten, die alle ihren Platz in dieser Welt verdient haben und mit Respekt und Wertschätzung behandelt werden sollen.
Auf uns wartet ein spannendes Abenteuer. Denn nach den Sommerferien wird aus unserem kleinen I-Männchen plötzlich ein großes Mädchen aus der dritten Klasse. Was das mit mir macht? Einiges. Plötzlich ist der Vergleich wieder da, das individuelle Tempo scheint nach hinten zu rücken und wird von Neid abgelöst. Natürlich ist das obercool. Es ist aber auch jeden Tag meine größte Herausforderung, kostet die letzten Kraftreserven und holt aus den hintersten Ecken Tränen. Das Leben mit Kindern, die anders sind, ist an vielen Tagen einfach zum Kotzen, ich bin da ganz ehrlich. Ob ich gerne tauschen würde? Ein ganz „normales“ Kind aus der Schule abholen möchte, mich nicht jeden Tag mit dem „Anderssein“ beschäftigen und mich ständig rechtfertigen? Nein. Denn meine Tochter ist eben meine Tochter. Sie ist besonders, fordert mich, bringt mich zum Nachdenken und ist so, wie sie ist, eben perfekt.
Der Blick auf Kinder verändert sich, denn die Rolle von uns Eltern ist längst eine andere. Woran das liegt? An der Angst zu versagen, keine Rolle in unserer Leistungsgesellschaft zu bekommen und daran, dass wir das mit dem Bauchgefühl oftmals verlernt haben. Also: aufs Bauchgefühl hören, Kinder unterstützen und ihnen Mut machen, denn darauf kommt es an.
3 comments
Ich habe sogar 2 solche Kinder, leider ohne Flexklasse. Der Große hat nun endlich die Grundschule überstanden mit der elendigen Langeweile, endlich genug Futter und sogar mehr Input. Der Kleine muss noch die 4. Klasse überstehen. Ich sehe, wie die Kinder mit I-Status alle nur erdenklichen Hilfen bekommen und wir nur dumme Kommentare und Neid. Aber die Kinder sind toll, aber eben sehr sehr wissbegierig und die Verarbeitungsgeschwindigkeit der schiere Wahnsinn. Hoffentlich werden die nächsten 9 Jahre entspannter…
Liebe Katrina,
puh zwei davon, ich schicke dir kraft! ich wünsche euch alles gute, es kann ja nur bergauf gehen! Märry <3
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