Tag 4. Das Kind sitzt brüllend im Flur, die Tränen laufen und auch meine kann ich nicht mehr lange zurück halten. „Ich geh da nicht mehr hin. Ich will das nicht. Es ist langweilig und ich kann wieso gar nichts.“ Schlagartig fühle ich mich wieder, wie im letzten Sommer. Wütend, überfordert und ohne Antworten auf all die Fragen. Ist das gerade ein Rückschritt? Wie lange bleibe ich ruhig, ohne einzuschreiten? Wie sehr kann das Vertrauen in mein großes Mädchen reichen? Gedanken zum Schulstart nach wenigen Tagen.
Die Einschulung lief ohne Probleme. Was vor einem Jahr noch undenkbar war, lief reibungslos. Teilweise sogar mit einem Lächeln im Gesicht. Sie konnte sich gut von mir trennen, brauchte keine extra Kuscheleinheit oder einen kleinen Stupser. Abends lag ich zufrieden im Bett. Stolz. Auf meine große Tochter. Und auf mich. Ein Jahr haben wir hart gearbeitet. Viel geredet. Die Art der Kommunikation zwischen und verändert und Wege gesucht, die unseren Alltag vereinfachen. Schon immer hat der Kopf des blonden Mädchens ein wenig anders getickt. Sie nimmt Dinge anders auf und verarbeitet teilweise schneller und teilweise viel langsamer. Neue Erfahrungen sind schwer, denn sie sind unbekannt und der Weg im Kopf ist nicht ganz vorgegeben. Jeden Tag ermutige ich sie, sage ihr, wie toll alles klappt. Wie stolz ich bin, dass sie sich so viel traut und mich immer weniger braucht.
Der erste Schultag fing mit einem Lächeln an und wurde von großer Müdigkeit am Nachmittag überrannt. Alles ist neu. Für uns und auch für sie. Wir brauchen Zeit denke ich. Zeit, Liebe und Vertrauen. Immer und immer wieder sage ich mir selbst, dass ich atmen muss und mich beruhigen soll. „Alles wird. Das ist eine Umstellung, die einfach Zeit benötigt.“
Der Montag macht alles Positive zu nichte. Das Kind ist weinerlich, wütend, aggressiv und ziemlich überfordert. Sie tut mir so Leid. Ich würde sie so gerne drücken, ihr diese Last abnehmen und ihr mehr Begleitung schenken. Doch mehr geht nicht. Ich kann hier nur sitzen, trösten, da sein und immer und immer wieder erklären, dass alles gut wird. Dass man nichts muss, dass Dinge Zeit brauchen und dass jeder Mensch unterschiedlich ist. Der Weg nach Hause ist für uns beide eine Qual, wäre uns doch nach schreien und weinen, nach einem richtigen Wutausbruch. Zu Hause fallen die Dämme und das Kind weint. Alleine. Mit mir. Ich lasse sie. Denn Tränen müssen raus und sind kein Zeichen von Schwäche. Nie. Ich signalisiere ihr, dass ich da bin. Meine Arme breite und wir über alles reden oder schweigen können. Dass ich ihr zuhöre und wir alle Schritte gemeinsam gehen werden und immer gegangen sind. Es braucht seine Zeit.
Nach einer Pause, einem Hörspiel, einem Schrei im Wohnzimmer ist sie wieder da. Meine große Tochter. Die lacht, mich fest drückt und „danke“ in mein Ohr haucht. Meine Tränen laufen und ich verstecke mich. Was bin ich für eine Mutter? Bin ich nicht stark genug, um sie zu unterstützen? Oder will ich zu viel? Bis tief in die Nacht überlege ich, wie wir es einfacher machen können, was uns gut tuen würde. Heimlich legen wir den kleinen Dackel in den Rucksack, der morgen ganz geheim im Tornister wohnen wir. Der einfach da ist und nur wir wissen es. Wenn es gar nicht mehr geht, dann kann sie ihn streicheln oder sogar rausholen.
Den Nachhauseweg werden wir heute anders gehen. Wir wollen Kastanien suchen, tief durchatmen und den Kopf frei machen. Jedes Kind ist anders, hat andere Bedürfnisse und sein eigenes Tempo. Wir werden Zeit brauchen, für diesen besonderen Start.
frauraufuss
10 comments
Fühl dich umarmt. Du machst das SOOOOOO großartig Und Ich glaube es ist genau,wie du sagst. So ein riesiger Schritt braucht Zeit, Mut, Geduld, Aushalten, Dasein…..und es ist für alle so anstrengend. Jeden Mittag bange ich ein bisschen, wie sein Tag war. Sein neuer Alltag. Es ist ein auf und ab. Der Junge,der selten weint, brach abends in Tränen aus vor Sehnsucht nach Kita und alten Freunden….Ich im Dunkeln daneben gleich mit. Man möchte es ihnen einfach leicht ums Herz machen. Aber ich bin sicher,die Leichtigkeit wird wieder kommen. Bis dahin sind wir da. Und ein bisschen taten die Tränen auch gut. Und doch freu ich mich auf den Alltag,wenn er wieder einer ist. Für uns alle. Mit der Zeit wird’s leichter.
Liebe Isabelle,
danke danke danke. das tut so gut zu lesen! jedes Wort, das du schreibst steckt so voller Wahrheiten. fühl dich gedrückt, wir schaffen das!
Lass dir Mut zusprechen! Uns ging es im letzten Jahr genauso. Viele Tränen bei der Einschulung, viele Tränen in der ersten Schulwoche. Uns hat es geholfen mit der Klassenlehrerin zu sprechen, sie darauf aufmerksam zu machen wo die Ängste und Sorgen bei unserer Tochter liegen und mit ihr gemeinsam nach Wegen zu suchen, diese aus dem Weg zu räumen. Und schon nach zwei Wochen war der Spuk vorbei und unser Kind geht sogar gern in die Schule.
Liebe Marlen,
danke für deinen Kommentar. Ich wollte nicht direkt in der ersten Woche als Helikopter Mutti auffallen und auch der Lehrerin die Chance geben, ihre Erfahrungen zu machen. Aber auch ich werde das Gespräch suchen!
liebe grüße
Märry
Sehr schön geschrieben. Ich erkenne ganz viel von meiner Mittleren wieder. Auch bei uns lief es letztes Jahr ähnlich. Es kamen viele Aufs und ABS. Zum Ende des 1. Schuljahres war es toll, nur um Angang des 2. Jahres wieder holpriger zu werden. Es ist halt viel, was auf zarte Seelchen einprasselt..Ich finde Du machst das toll. Viel mehr als da sein, stärken und begleiten kann man nicht machen. Man muss auch als Mama da durch und immer wieder ein bisschen mehr loslassen. Sie werden es packen und wir werden IMMER stolz sein auf unsere tollen Kinder!!!
Liebe Anne,
danke für deinen Kommentar, der gut tut und mich ein wenig glücklich lächeln lässt. Stolz bin ich jeden Tag und feiere gerade jede kleine positive Erfahrung. Ich bin gespannt, wie unser Weg wird und bis dahin schauen wir Woche für Woche nach vorne. <3
Ich fühle mit dir, mit euch. Und erkenne uns wieder, unser Schulabenteuer ist gerade gestartet. Mit einer schweigenden Püppi, die so überfordert ist von allem und selber einen hohen Anspruch hat. Mit einen kleinen Weltherrscher, der sich soviel anpassen muß, und schon jetzt fragt, wann Ferien sind. Und ich bin umgeben von glücklichen Eltern mit super glücklichen Kindern, die alle so froh über die Schule sind. Und wir sind noch soweit entfernt von “in der Schulzeit angekommen sein”. Und das ist schwer auszuhalten, manchmal. Und so hat jede Familie ihr Tempo, alles hat seine Zeit. Es wird schon irgendwie, irgendwann wieder passen. Ganz bestimmt. LG
Liebe Heike,
danke für deinen Kommentar! Ich drücke dich und wünsche dir viel Kraft für die nächste Zeit!
Hey Märry, ich hatte ein wenig was in den Augen beim Lesen. Das sind immer diese Momente in denen wir loslassen und vertrauen müssen. Gar nicht so leicht. Ich kann mir gut vorstellen wie anstrengend das alles ist. Auf eurer beiden Seiten. Und dann bist du auch noch im Hormonster-Modus. Ich drücke dich fest. Du machst das übrigens toll. Geht nach der Schule einen Umweg. Ein Eis essen, auf den Spielplatz. Nach den ganzen Stunden still sitzen und angepasst sein tut es der Seele gut einfach mal Luft ab zu lassen. Ich wünsche euch dass es sich schnell einpendelt ❤️
Liebe Grüße,
Sarah
Liebe Sarah,
Gestern hatte ich ein paar Gummibärchen in der Jackentasche, das half und der Weg war schon viel besser. Das Luft ablassen tut uns beiden sehr gut! Danke dir!