Schon vor der Einschulung vom großen Mädchen wussten wir, dass das Abenteuer Schule für uns ein spezielles und aufregendes werden würde. Warum wir uns für diese Schule entschieden haben? Was bedeutet eigentlich flexible Schuleingangsphase? Und wie fühle ich mich als Mutter, mit einer „Überspringerin?
Das Thema Schule schnürt mir mehr und mehr die Kehle zu. Von überall strömen Einflüsse, Erwartungen und Meinungen auf mich und auch auf meine Tochter ein. Mit der Schule beginnt der Ernst des Lebens, endlich bekommen Kinder einen strukturierten Alltag und endlich bekommen Kinder durch Zeugnisse eine Einschätzung ihrer Leistungen. Wer weiss, vielleicht hätte ich vor drei oder vier Jahren all diese Aussagen unterschrieben. Hätte nickend zugestimmt und wäre ohne Bauchschmerzen in dieses Abenteuer gestartet. Doch, wie das im Leben immer so ist, am Ende kommt eben alles anders.
Schule und Individualität? Geht das?
Es kann gehen. Und das sehen wir jeden Tag. Kinder sind bunt, unterschiedlich und haben individuelle Begabungen, Bedürfnisse und Lernfelder. Nach und nach schafft unser Schulsystem Möglichkeiten diese Individualität zu erkennen und zu fördern. Das wir damit noch nicht am Ziel sind, versteht sich von selbst. Gerade zum Anfang der Schulzeit ist die Bandbreite der Vielfalt an Kindern riesig. Ob das am Wandel der Zeit liegt? Wohlmöglich. Immer mehr Schulen verstehen ganz langsam, dass Frontalunterricht und starre Strukturen nach Plan nicht der Weg zum Ziel sind. Gerade aus diesem Grund ist die Wahl der Schule umso wichtiger. Unsere Schule sieht sich als Schule des gemeinsamen Lernens, als ein Ort der Individualität. Hier hat jedes Kind ein Recht auf Bildung, auf den eigenen Weg und darauf, die eigenen Fähigkeiten zu wecken und zu entdecken. Und nach einem Jahr auf dieser Schule weiss ich, wie unterschiedlich die Kinder sind und wie wertvoll dieser Austausch auch zwischen den Kindern ist. Denn das ist das, was ich am Lernen so wichtig finde, es findet miteinander statt.
Flexible Schuleingangsphase
Das Schulgesetz in NRW bietet die Möglichkeit die ersten zwei Schuljahre, die Eingangsstufe, in einem, in zwei oder in drei Jahren zu durchlaufen. Das besondere an unserer Schule ist der jahrgangsübergreifende Unterricht, die ersten zwei Schuljahre werden in einer Klasse unterrichtet. So fällt es eben nicht auf, wenn Kinder unterschiedlich sind. In den ersten Wochen habe ich mich oft gefragt, ob das wirklich funktionieren kann, ob die Kinder alle gesehen werden und wie Unterricht so gestaltet wird. Festgefahren in meinem Kopf, durch alte Strukturen, das Denken an Frontalunterricht und daran, dass Kinder doch einfach funktionieren müssen. Auch für mich als angehende Lehrerin, das ist aber ein ganz anderes Thema, hat diese Art der Schule etwas angestoßen. Ich bin offener, vertraue mehr und glaube fest daran, dass unser Schulsystem einen kleinen Tritt in den Hintern braucht.
Und, wie fühlt man sich als Mutter dabei?
An vielen Tagen leben wir hier einfach ein ganz normales Leben. Wir machen Hausaufgaben, streiten, lachen, lieben, weinen zusammen und sind eine stinknormale Familie mit Schulkind. Leider kommt es aber immer wieder zu Situationen, die die Besonderheit vom großen Mädchen in den Vordergrund rücken lassen. Wenn andere Eltern das Überspringen mit Unterton hinterfragen, wenn andere Kinder nicht verstehen können, wie man mit 6 Jahren schon in die dritte Klasse gehen kann und wenn das große Mädchen Angst vor den vielen neuen Eindrücken hat. Dann ist es schwer in meinem Herzen. Dann ist da keine Kraft, kein zureden mehr und auch kein optimistischer Blick nach vorne. Ich sorge mich, stelle unsere Entscheidung in Frage und möchte mich gerne in mein Schneckenhaus verkriechen. Denn eins steht fest: ob wir die richtige Entscheidung getroffen haben, werden wir niemals wissen. Ich spüre nur, dass dieser enorme Wissensdurst, diese enorme Tempo, endlich ein wenig befriedigt wird. Und es gibt doch nichts schöneres, als ein strahlendes Kind, wenn es Wissen aufsaugen darf.
Was ich Eltern mitgeben möchte?
Schaut auf euer Kind, seht es als Individuum. Als Kind, dass nichts aushalten muss, nicht in starre Raster passen muss und mit Recht sein eigenes Tempo hat. Sucht die Schule mit Bedacht aus und scheut euch nicht, das Gespräch mit Lehrern zu suchen. Wenn ich eines gelernt habe, dann das Lernen nur im Austausch funktionieren kann.
Eltern mit „besonderen“ Kindern (ich mag diesen Begriff nicht besonders, denn jedes Kind ist auf seine Art und Weise besonders und speziell) brauchen viel Kraft und Mut, denn hinter der Fassade ist das Leben nicht immer rosarot. Das Befriedigen des Wissensdurstes und das ständige Hinterfragen braucht starke Eltern, die ihren Bauch niemals überhören.
Teilt ihr Erfahrungen mit mir?
frauraufuss
8 comments
Ich kann dir so gut nachfühlen. Ich habe hier einen Jungen, der schon in der zweiten Schulwoche die Aufgaben der zweiten Klasse erledigt und die “pipifax” Hausaufgaben der ersten Klasse nicht machen will. Hier bei uns (Bayern) gibt es auch Flexklassen und ich hoffe, dass der Zwerg somit die ersten beiden Klassenstufen in einem Jahr meistern darf.
Liebe Grüße, Julie
Liebe Julie!
Danke für deinen lieben Kommentar…Die Flexklassen sind meiner Meinung nach genau das richtige. Ich schicke dir viel Kraft, denn so schön das alles auch klingt, du weißt bestimmt genau, wie schwer der Alltag manchmal sein kann…
Hallo,mein Sohn hat die erste Klasse 3Wochen besucht, dann wurde er hochgestuftund wir hatten ein glückliches Kind was gefordert war.Jetzt geht er in die 3.Klasse und ist Klassenbester wir würden es immer wieder machen
Hallo
Ich finde es toll, dass es an manchen Schulen diese Möglichkeit gibt.
Bei uns gibt es das nicht, was bei meiner Tochter aber OK war. Sie gehört auch zu den Klassenbesten. Bei uns war das erste Schuljahr am schlimmsten. Zum einen hat sie sich komplett gelangweilt weil sie nichts neues gelernt hat. Zum anderen hat sich dort aber ihr ADHS erst richtig gezeigt (im Kindergarten hatte ich auch schon eine Vermutung)
Mittlerweile ist sie aber gut angekommen und fühlt sich richtig wohl. Sie geht in die 3. Klasse, der Stoff ist nach wie vor Pippifax, aber durch viel Therapien bzgl. des ADHS fällt es ihr in der Schule leichter sich zu benehmen und ihre Aufgaben zu erledigen, dadurch gehört sie jetzt zu den Kindern die oft Zusatzaufgaben machen dürfen, die dann etwas schwieriger sind. Diese positive Bestärkung tut ihr sehr gut.
Jedes Kind ist anders und lernt unterschiedlich schnell und meine Tochter hatte durch ihre Intelligenz bisher das Glück, dass sie sich nicht auf den Stoff konzentrieren musste, sondern sich nur auf ihr Verhalten konzentrieren konnte. In dem Alter wollen die Kinder ja auch dem Lehrer gefallen und bringen nicht absichtlich Chaos in die Klasse.
Es müsste sich viel mehr tun im Schulsystem das mehr Kinder die Möglichkeit haben sich in ihrem individuellen Tempo zu entwickeln. Sowohl die schwächeren, als auch die stärkeren. Dieses Flexsystem finde ich daher sehr spannend und sinnvoll.
Hi, mein Sohn ist 3 Jahre und wir beobachten bei ihm ebenfalls einen großen Wissensdurst und eine extrem hohe Merkfähigkeit; dies wurde uns auch schon von der Tagesmutter und jetzt auch von den Erzieherinnen im Kindergarten rüchgemeldet. Natürlich bin ich unheimlich stolz auf ihn, aber es bereitet mir auch große Sorgen; eben weil er “anders” ist als andere Kinder in seinem Alter. Ich bin selbst Grundschullehrerin und habe auch die große Befürchtung, dass er sich in der 1. Klasse zu Tode langweilen wird.
Ich würde mich freuen, wenn du mir mal kurz schreibst, wie und wann sich “diese Besonderheiten” bei deinem großen Mädchen geäußert haben!
Ganz viele liebe Grüße (übrigens ebenfalls aus Münster ;-) )
Regina
Liebe Regina!
Eigentlich schon im ersten Jahr. Bei uns war immer alles anders. Sie hat früh gesprochen, konnte früh laufen und hatte ein Riesen Problem mit Reizen. Ich bin einfach sehr feinfühlig mit ihr umgegangen, mit dem Baby versuche ich das auch… Als sie dann mit vier lesen wollte, wusste ich eigentlich was los war. In der Kita hat man uns lange nicht ernst genommen. Hör auf deinen Bauch, wir Mütter haben da einen guten Instinkt.!
Märry <3
In unserer Schule (Bayern) gibt es leider keine Flex-Klasse, und das Thema „überspringen“ beschäftigt mich auch sehr. Der Kleine ist grade in die erste Klasse gekommen, kann lesen, schreiben, superflink bis hundert rechnen und auch schon das kleine Einmaleins. Klar, der Große ist grade in die Dritte gekommen und der Kleine saugt den Lernstoff vom Bruder auf wie ein Schwamm. Trotzdem wollen wir ihn langsam in der ersten Klasse starten lassen, wie jedes andere Kind das auch kann. Die Angst bleibt, dass er sich langweilen wird,… er braucht Herausforderungen. Ich befürchte er wird sonst zum Klassenclown oder verliert den Spaß an der Schule.
Aber: Ich will ihm auch nicht antun, dass er irgendwann in der weiterführenden Schule einer der Jüngsten ist, umgeben von pubertierenden Halbstarken.
Jetzt ist das noch kein Problem, er ist groß, selbstbewusster als der Bruder, selbständig und kann sich durchsetzen. Aber wie wird das in ein paar Jahren sein? Als 10-jähriger zwischen 12-13jährigen, das kann heftig werden…
Ich hoffe einfach, dass die Lehrerin es schafft ihn mit Zusatzaufgaben bei Laune zu halten und sich im Laufe der Zeit das Niveau irgendwo angleicht.
kaggzj