Nie war es so schwer und anstrengend Eltern zu sein, wie im jetzigen Zeitalter. Jede Handlung wird begutachtet, jeder Schritt verfolgt und nicht selten wird man für seine Entscheidungen verurteilt. Was Social Media und die permanente Selbstdarstellung damit zu tun haben? Eine kritische Auseinandersetzung mit unserem Wir von heute.
In meiner Kindheit lief das Radio. Mit dem Beginn der 7 Uhr Nachrichten verabschiedete ich mich von meiner Mutter und lief bis zur Ecke, um auf meinen Schulfreund zu warten und mit ihm zum Bus zu laufen. Am Vormittag kümmerte sich meine Mutter um meine Schwester, den Haushalt, das Mittagessen und all das, was wir Mütter so machen. Und niemand wusste Details. Wenn ich meine Tochter heute bis zur Ecke bringe, dann habe ich da schon den Morgen von vielen anderen Müttern live miterlebt. Ich habe unterschiedliche Arten der Frühstücksbereitung gesehen, die erste Weihnachtsdeko in den Fenstern, Stylingtipps für einen langen Tag und perfekt vorbereitete Frühstücksdosen für die Schule. Am Vormittag sehe ich den perfekten Bio-Einkauf beim Bauern, bekomme Tipps, wie ich endlich auf Plastik verzichten kann und sehe die kinderlose Weltenbummlerin, die mindestens zehn verschiedene und hochpreisige Adventskalender zeigt. Den Abschluss machen die perfekten elektrischen Haushaltshilfen, die wischen, saugen und schon mal das Mittagessen vorkochen, natürlich alles frisch und gesund.
Eltern sein 2020. Überwachung pur.
Dieser Selbstverwirklichungswahnsinn, von dem ich ich leider nur in den wenigsten Punkten freisprechen kann, verändert das Bild einer ganzen Gesellschaft. Bei all den Blicken in andere Familien, fühle ich mich schon am Mittag von meinem schlechten Gewissen verfolgt. Hier gab es wieder keine besondere Frühstücksdose, sondern Obst und eine einfache Schnitte Brot, ob meine Tochter darunter leidet? Unsere Adventskalender sind noch immer nicht fertig, was bin ich nur für eine unorganisierte Hausfrau. Mir mal selbst eine Pause für mich gönnen? Niemals. Denn andere schaffen ja auch alles und sind nicht ko.
Warum machen wir Eltern das? Warum vergleichen wir uns permanent, bekommen ein schlechtes Gewissen? Und warum stellen wir unser Leben öffentlich zur Schau, versuchen zu zeigen, wie perfekt wir sind und überspielen Unsicherheit? Wir sind permanent überwacht und lassen diese Überwachung zu. Warum nur?
Wer jetzt glaubt, ich will nur auf die scheinheilige Internetgemeinde aus, die jeden Tag das perfekte Leben lebt, der irrt. Natürlich macht genau diese Gruppe einen Großteil aus, aber jeder andere, der schon auf Facebook Fotos aus dem letzten Urlaub teilt, stellt sich selbst dar. Neuster Shit ist ja der Whatsapp Status, in dem Fotos gezeigt werden.
Wir alle machen das. Einige mehr, andere weniger. Wir stellen uns dar, vergleichen uns und haben immer im Hinterkopf, dass es da draußen jemanden gibt, der schönere Urlaube, teurere Weihnachtsgeschenke oder die perfekter gekleideten Kinder hat.
Mein Wir von heute.
Wenn ich an meine Kindheit zurück denke, dann war da vieles irgendwie leichter. Schwäche zeigen, hat heute keinen Platz mehr. Als ich in der letzten Woche in diesem Internet, auf Instagram, von meinem anstrengenden Tag, meinen vielen Tränen und meiner Verfassung berichtete, war mein Postfach voll. Voll mit Nachrichten von Müttern, denen es ebenso geht. Die es aber niemals laut aussprechen würden, denn unsere Anforderungen an Eltern lassen keine Schwäche zu.
Mit jedem Tag dieser positiven Selbstdarstellungen, die uns anregt etwas zu verbessern (das ist übrigens total normal und hat ganz einfach psychologische Gründe, die noch immer etwas mit der Evolution zu tun haben: Der Mensch will perfekt sein und all das, was noch verbessert werden kann, muss verbessert werden. Das was gut ist, können nur die wenigstens auch als gut und richtig ansehen.) verwandeln wir uns zu einer narzisstischen Großmasse, die bewundert werden will und manipuliert.
Eltern sein 2020. Ich werde weiterhin nur olle Stullen und etwas Obst in die Frühstücksdosen meiner Kinder packen. Meine Kinder werden auch im nächsten Jahr keine überteuerten und einfarbige Kleidungsstücke tragen, die ich mir noch nicht mal selbst gönnen würde. Ich werde weiterhin dafür kämpfen, dass niemand nach einer Geburt das blühende Leben sein muss und das Schwäche vollkommen ok und mutig ist. Ich will weiter daran arbeiten, dass das eigene Bauchgefühl tausendmal wichtiger, als 625 Elternratgeber ist, dass wir Eltern die wichtigsten Kenner unserer Kinder sind. Und deshalb mache ich weiter, zeige Ausschnitte aus unserem Leben im Internet: weil wir noch viel zu tun haben, weil es noch immer Mütter gibt, die sich verstecken, die sich alleine gelassen fühlen und die eine Stimme brauchen.
In diesem Sinne, ich muss jetzt dringend ein paar Instagram Stories gucken (Internetsucht und so…) und einen Kaffee mit Milchschaum trinken.
frauraufuss
5 comments
Man muss das nicht mitmachen. Man kann morgens auch einfach müde das Frühstück für die Kinder machen und das Handy erst dann einschalten, wenn man selber wach ist. (oder auch nicht). Und auch dann muss man nicht nachsehen, was andere Eltern bisher so getan haben. Warum? Mein Sohn war immer sehr glücklich mit seinen Salamistullen und hat gesagt, dass Käsesterne auf seinem Brot und andere Spielereien ihm vor seinen Freunden peinlich sind. Nicht alles, was instagramable ist, ist auch das, was wichtig und richtig ist. Und Du weißt selbst am besten, welchen Adventskalender Deine Kinder schön finden. Vergleichen war schon immer. Das Netz macht es vielleicht offenkundiger. Ansonsten empfehle ich Literatur: “Wer springt am höchsten?” ist eine Kindergeschichte von der großartigen Astrid Lindgren, in der es genau darum geht, um Eltern, die immer miteinander wetteifern und sich vergleichen. Die Kinder, die das übernehmen. Und die am Schluss der Geschichte nach einem tragischen Höhepunkt darüber sprechen, warum sie das eigentlich alle tun. Wenn ich mich selbst bei dieser Vergleicherei bemerkt, dann denke ich an Alwin und Stig – und danke Astrid Lindgren, die diese Problematik schon vor über 50 Jahren und lange vor Instagram so humorvoll wie kritisch zu Papier gebracht hat.
Du sprichst mir sowas von aus dem Herzen. Mehr muss dazu gar nicht gesagt werden . Bleib so wie du bist. Liebe Grüße
<3 Danke!
Seit zwei Wochen kein Insta und kaum Facebook. Und es fühlt sich ziemlich normal an. Ich weiß gar nicht wohin mit der vielen Zeit, hahaha.
Definitiv habe ich festgestellt, das Insta keine Bereicherung ist, ich arbeite halt damit. Insta ist ein Job, nicht mehr und nicht weniger.
Auch wenn immer “aber da lernt man doch so nette Menschen kennen” kommt – mir fällt nur eine einzige Person ein, die ich zumindest gern kennenlernen würde. Alle anderen, die ich mag, kenne ich aus anderen Gründen (dich übrigens auch) und nun ja, die Entscheidung, wie weit wir uns nackig machen, die müssen wir ja selber tragen. Nur, dass wir immer über die Medienunfähigkeit unserer Kinder nachdenken und die bösen Stalker, Groomer und Mobber, da kann ich bei vielen in meinem Alter nur den Kopf schütteln: wir sind ja selbst total medienunfähig und checken nicht wirklich viel.
Dani <3
Ich würde mir das für mich auch so wünschen, ich merke gerade jetzt in der Weihnachtszeit, wie viel ich darauf rumdaddel.
Das mit dem nicht checken, teile ich.
Liebe.