Ein Jahr später.

Neben mir liegt ein schlafendes Kind, in meinem Bauch tobt es und ich bin hellwach. Was hat das letzte Jahr mit mir gemacht? Bin ich noch die, die ich vor 365 Tagen war oder wer bin ich? Das Leben rauscht an mir vorbei, ich spüre Veränderungen und die Angst vor der ungewissen Zukunft wird immer geringer. Ein Jahr später, was macht das mit mir?

Ich bin mutiger geworden. Traue mich Dinge anzusprechen, nicht alles hinzunehmen und meine Gefühle und Gedanken offen zu äußern. Wenn mir etwas nicht passt, mir Bauchschmerzen bereitet, dann treffe ich Entscheidungen. Noch vor wenigen Monaten hätte ich einfach weitergemacht, mich dadurch gebracht und hätte am Ende ein Licht gesehen. Situationen und Entscheidungen, die schwer sind, schenken Lebenserfahrung und machen stärker.

Wo der Mut herkommt?

Vor 3 Wochen musste ich meinen Vater anrufen. Seine Nummer steht jetzt tatsächlich wieder in meinem Handy und ich habe keine Sekunde gezögert, sie gewählt und mit ihm gesprochen. 3:21 Minuten. Ohne Tränen, nur Fakten. Mein Herz schlug kräftig, meine Hände waren schwitzig und in meinem Kopf lief mein Lebensfilm der letzten Jahre. Als ich auflege, atme ich tief durch und warte auf eine Reaktion meines Körpers. Auf eine Panikattacke, auf dicke Tränen und auf die Angst. Doch es passiert. Nichts. Ich bin ruhig und plötzlich 10 Meter groß. Ich laufe durch die Wohnung und erkenne mich selbst kaum wieder: was passiert hier gerade?

Ich bin gewachsen. Ins unermessliche. Ich habe meinen größten Feind besiegt. Die Angst macht mich nicht mehr aus, lässt mich mein Leben wieder normal spüren und leben. Mein Spiegelbild zeigt keine kaputte, schwache und kleine Frau mehr. Keine, die nicht weiss wie es weitergehen soll, die Angst vor der Zukunft hat und sich kaputt machen lässt. Heute zeigt mein Spiegelbild eine starke, selbstsichere Frau, die eine Meinung hat und die ganz langsam stolz auf das wird, was sie geschaffen hat.

Ich weiss, dass dieser Weg noch lange nicht zu Ende ist. Das Kurven, Sackgassen und Kreuzungen auf mich warten, dass ich nicht immer weiss, wo ich lang laufen soll. Was ich aber weiss, dass ich viel entschlossener abbiegen kann und hinter mir eine Horde von Menschen steht. Die mir zuhören, Tipps geben und mich stärken. Die mir sagen, dass ich stark bin und dass ich gewachsen bin. 

Was das nächste Jahr für mich bereit hält? Ich weiss es nicht. In meinem Bauch sind Vorstellungen und Erwartungen. Aber auch das habe ich gelernt: Nichts wird so, wie man es sich vorstellt. Im Gegenteil. Durch enorme Erwartungshaltungen sind die Schmerzen und Wunden beim nicht Erreichen viel viel größer und schwerer zu heilen.

Ich werde weiter wachsen. Schule meine große Tochter ein, mache meinen Abschluss, bekomme ein zweites Kind, werde nochmal mehr Familie und werde mich weiter suchen und finden. Denn jeder Tag ist anders, zeigt andere Facetten und Gefühle.

Für den Moment bin ich glücklich. Wie in einem Hormonrausch. Ob das am Baby im Bauch, welches mich noch immer fast jeden Tag zu Tränen rührt, liegt oder am wunderbaren großen Mädchen, dass gerade in den letzten Wochen ein so wundervoller Mensch geworden ist und mein Leben in jeder Sekunde bereichert.

Vielleicht hat mir das Schicksal diese beiden Kinder geschickt. Um mutig zu werden, zu wachsen und endlich zu begreifen, worum es im Leben geht. Denn eins steht für immer fest: auch das blonde Mädchen hat mich mutiger werden lassen, hat mich groß werden lassen und mich auf den richtigen Weg geführt.

Leben, gerade rockst du! Und wenn nicht, dann zeig ich dir wo es lang geht.

frauraufuss