Schon in den ersten Wochen meines Studiums fing das Interesse an Reformschulen und der Reformpädagogik an. Kein Buch konnte ungelesen an mir vorbeigehen und ständig versuchte ich meine eigene Erziehungstheorie mit Reformgedanken zu untermalen und auszubauen. Ich glaube, das gelingt mir bis heute ganz gut. Bei uns gibt es eine bunte Mischung aus vielen verschiedenen Formen. Denn eins glaube ich weiterhin: die goldenen Erziehungsmethoden gibt es nicht und auch Eltern dürfen Fehler machen.
Reformpädagogik – Was ist das?
Eine einheitliche Erklärung für all die vielen Varianten gibt es nicht. Denn jede Strömung hat ihre Berechtigung, ihre Eigenarten, ihre Vorurteile und Kritiker. Was aber alle gemeinsam haben, ist der Wunsch nach einem geringeren Leistungsdruck für Kinder. Im Zentrum steht die Individualität des Kindes und der Wunsch, das Kind zu einem selbstständigen Wesen zu bilden. Ich verzichte hier bewusst auf das Verb „erziehen“, denn viele Reformer negieren „Erziehung“.
Gerade in Tageseinrichtungen und Schulen stehen Lehrer und Erzieher mehr als Begleiter und Unterstützer zur Seite. Ganz anders als in Regelschulen, bei denen sich die Lehrer noch immer starr an Vorgaben und das zu Erlernende halten müssen, stehen die Kinder im Reformunterricht im Fokus.
Pestalozzi, Montessori oder Waldorf?
Lange Zeit dachte ich, dass Kinder in Waldorfschulen ihre Namen tanzen können und niemand nach dem Besuch einer Reformschule studieren kann. Pustekuchen. Im ersten Semester Germanistik lernte ich eine ehemalige Waldorfschülerin kennen, die das mit dem Selbstorganisieren von Anfang an besser beherrschte, als der ganze restliche Kurs. Ihre Namen kann sie nicht tanzen und sieht ihre eigene Schulzeit heute mit ganz anderen Augen.
Wusstet ihr, dass Maria Montessori ihre erste Schule eröffnete, um sozial schwachen Kindern eine Beschulung zu ermöglichen? Denn noch lange Zeit ging man davon aus, dass Kinder aus „ärmeren“ Verhältnissen automatisch blöd sind und lieber arbeiten sollten. Doch Maria Montessori sah das Potenzial in jedem Kind. Lernen durch Handeln. Das Aufwachsen meiner Tochter besteht aus vielen Handlungsaktionen, in denen sie selber erlebt und daraus lernt. Ich fördere ihre Kreativität und wecke die Lust, Dinge alleine zu probieren und Fragen zu stellen. Nach Pestalozzi sind Mütter die ersten und wichtigsten Erzieherinnen ihrer Kinder. Wir wecken die Lust, Dinge zu erfahren und zu erforschen. Denn Liebe, Vertrauen und Dankbarkeit sind die Grundgefühle, die unser Leben ausmachen.
Auch Rudolf Steiner griff den Aspekt der sozialen Gerechtigkeit auf. Und heute? Heute müssen die Waldorfschulen Kinder aus allen sozialen Schichten ablehnen, denn der Bedarf wächst mit jedem Tag. Denn heute besuchen Kinder aus allen gesellschaftlichen Schichten Waldorfschulen und die Vorurteile schwirren nur in den Köpfen derer, die sich nicht mit den Fakten auseinandergesetzt haben.
Bei der Wahl der Schule für das blonde Mädchen waren mir viele verschiedene Aspekte unglaublich wichtig. Eine normale Regelschule wäre für uns niemals in Frage gekommen. Und das, obwohl ich die nächsten Jahrzehnte die meiste Zeit in einer Regelschule verbringen werde. Die Schule, die es jetzt geworden ist, unterrichtet die erste und zweite Klasse zusammen. Jedes Kind bekommt einen individuellen Wochenplan, kann in Mathe Aufgaben für die dritte Klasse rechnen und trotzdem noch Probleme mit einigen Buchstaben haben. Es gibt kein normales Mathebuch, die Lehrer haben ihr eigenes entwickelt. Man kann nach 3, 4 oder 5 Jahren auf die weiterführende Schule gehen, nichts mehr mit vorgegebenem Weg und starren Halten an Abläufe. Der Schulleiter betonte mehrfach, dass jedes Kind da abgeholt werden würde, wo es stehen würde. Ich glaube, dieser geschützte Raum, der aber gleichzeitig alle Möglichkeiten offen lässt, ist ein guter Raum.
Schule 2018
Schule 2018 muss nicht mehr nach starren Regeln sein. Sie kann sich aus all ihren Bereichen das beste rauspicken, ein eigenes Konzept haben und die Kinder als das wichtigste im Schulalltag sehen. Ihr seht, auch eine Pädagogin, die das Regelsystem eingetrichtert bekommt, hat dazu eine ganz eigene Meinung. Die Entscheidung sollte aber auch hier individuell getroffen werden. Denn nicht jedes Kind ist ein Montessori-Kind und nicht jedes Kind kommt im Waldorfsystem zurecht. Reformpädagogik ist vielseitig und bereit jedes Kind zu beschulen.
Was ich Eltern bei der Schulsuche ans Herz lege? Sprecht mit den Lehrern, mit anderen Eltern und viel wichtiger: hört auf euer Bauchgefühl. Meins war lange Zeit auf eine andere Schule eingestellt, doch nach dem Tag der offenen Tür und einem Gespräch wusste ich, hier sind wir richtig.
Wollt ihr mehr über Reformschulen und Reformpädagogik wissen?
frauraufuss
9 comments
Hallo,
Danke für deinen Artikel. Ich bin schon sehr gespannt wie diese ganze Einschulung geschichte hier ausgeht. Meine Mäuse sind viel zu früh auf die Welt gekommen und nun vor dem Stichtag nächstes Jahr… Der eigentliche Geburtstag liegt weit nach dem Stichtag und sie würden 2020 eingeschult. Zurückstellen ist ja nicht so leicht in NRW und ich denke es läuft auf eine Einschulung mit 5 Jahren 2019 in die Montessori Klasse unserer Regelschule hinaus. Zur Zeit besuchen sie einen Montessori “Kindergarten”
Einen schönen Tag euch
Liebe Steffi!
Ich hoffe ihr findet einen Weg, der euch am Ende keine Bauchschmerzen bereitet.
Ich finde dieses ganze Thema “alternative Schulen” ja sehr interessant. Ich habe zwar selber keine Kinder aber rückblickend auf meine eigene (noch nicht allzu entfernte) Schulzeit huscht mir doch der ein oder andere kritische Gedanke durch den Kopf. Eingeschult wurde ich mit fünf, was für mich wirklich die beste Lösung war weil ich zu diesem Zeitpunkt bereits lesen konnte und der Kindergarten einfach langweilig war. Allerdings hatte ich z. B. schon in der Grundschule “Probleme” mit Mathe: bei einigen neuen Inhalten brauchte ich einfach ein bisschen länger als andere, um sie zu verstehen. Einiges (meistens leider genau das, was für den Großteil der Klasse schwieriger war) erschien mir dagegen total logisch und überhaupt nicht erklärungsbedürftig. Tatsächlich reicht das bei mir selbst bis heute, ins Studium. Gleichzeitig lief an meiner damaligen weiterführenden Schule so einiges schief wie z. B. dass ein bereits verwarnter Lehrer alle Mädchen meiner Klasse eine Viertelstunde lang in der Umkleidekabine angeschrien hat ohne, dass es hinterher irgendwelche Konsequenzen für ihn gehabt hatte. Aus Mitleid der Schulleitung weil “der arme Kerl” ja schon eine Verwarnung hatte… Von genau diesem Lehrer musste ich mir dann übrigens die ganze Oberstufe sagen lassen, ich sei zu dumm für quasi alles. Natürlich kann man da nicht prinzipiell sagen, dass so etwas nur an Regelschulen vorkommt aber ich denke mal, dass diese Strukturen und Prinzipien dort schon arg begünstigt werden.
Für mich steht jedenfalls fest, dass ich mir wenn es an der Zeit ist auf jeden Fall Gedanken mache um Alternativen.
Wir sind seit letzten Sommer auch mit Schulkind unterwegs.
Unsere gewählte Schule ist klein und überschaubar auch in einer Stadt wie Köln möglich.
6 Klassen á 20 Schüler und die Klassen sind alle von 1/4 gemischt.Es klappt super und durch viel Gruppenarbeit wird viel besser auf die Kinder eingegangen.
In meiner Schulzeit ging alles genau nach Plan.Ich kann mich nicht daran erinnern das zu dieser Zeit auf stärken oder Schwächen der Kinder eingegangen wurden.
Ich war oft nicht glücklich in meiner Schulzeit.
Mein Sohn geht gerne und das freut mich und dann fällt das lernen auch viel einfacher.
Das Thema Einschulung spielt bei uns – auch auf dem Blog – ja zur Zeit auch eine große Rolle. Hier in der Kleinstadt ist mein Wunsch, mein behindertes Kind an eine “normale” Schule mit nichtbehinderten Kindern geben zu wollen, noch sehr ungewohnt. Daher habe ich mir auch verschiedene Schulen angeschaut – und im Blog auch erzählt, was mich an der Montessori-Schule so fasziniert. Genau das, was Du schilderst – jahrgangsübergreifende Klassen, individueller Wochenplan etc – finde ich sehr wichtig. Und bei mir ist natürlich die Inklusion/Integration ein wichtiger Faktor. Seit ich eine “Außenklasse” besucht habe, in der für die behinderten Schüler “kein Platz” in der Kantine war, weiß ich, dass ich überall ganz genau hinschauen muss… Toll, dass Ihr eine passende Schule gefunden habt! Und ja, das Thema (Reform)pädagogik interessiert mich immer. Mich würde auch interessieren, ob und inwieweit Deine Kenntnisse und Erfahrungen als Mutter Dich in Deinem Lehrerberuf geprägt und vielleicht sogar verändert haben?
Hallo :)
Ich würde schon sagen, dass mich das als Lehrperson unglaublich verändert hat. Der Blick für jedes einzelne Kind ist ein anderer. Inklusion ist ja leider immer noch ein Thema, welches nicht genügend bearbeitet wird. Ich wünsche euch einen Platz, der für euch alle passt!
Das ging mir auch so. Die erste Veränderung kam mit der Geburt des ersten Kindes. Plötzlich war mir erst richtig bewusst, welchen Schatz mir als Lehrerin von den Eltern anvertraut wird. Die zweite Veränderung kam, als das erste Kind in die Schule kam. Wie krass, dass plötzlich fast ausschließlich auf Defizite geguckt wird. Was macht das mit einem Kind, das bis dahin ok war, wie es war. Die dritte Veränderung kam, als das Kind dann auf das Gymnasium kam. Man glaubt ja nicht, was ein Zehnjähriger da plötzlich alles auf einmal verarbeiten muss!
Die Essenz der Veränderungen war, immer wieder Dinge aus der Sicht des Kindes zu betrachten. Da fiel mir leichter, wenn ich die Situationen durch die Augen meiner eigenen Kinder sehen konnte.
LG Uta, die vor ein paar Jahren selber mal in Münster studieren und lehren dürfte.. .
Liebe Märry!
Ich habe lange drauf rum gedacht, wie ich mich hier äußere, ohne zu stänkern oder mal wieder ein Klischee zu bedienen. Versuchen wir es mal.
Erst einmal freue ich mich für dich und dein Mädchen, dass ihr die hoffentlich richtige Schulwahl treffen konntet.
Und gut, dass ihr da auf euer Bauchgefühl gehört habt. Ich finde, so sollte es sein.
Doch die Kritik, die du an den Regelschulen übst, stößt mir sauer auf. Ja, ich bin Grundschullehrerin, seit über 10 Jahren, an diversen verschiedenen Schulen mit unterschiedlichen Schwerpunkten. Ich habe gut und gerne an 5 Schulen gearbeitet, die ganzen Schulen im Praktikum an der Uni ausgeschlossen. Und keine war so, wie du beschriebst. Ich habe, natürlich nicht ausnahmslos (in welchem Beruf gibt es das schon), aufopfernde und kreative Kolleginnen kennengelernt. Stets auf das Wohl der Kinder bedacht und immer wieder pädagogisch sinnvolle Lösungen findend.
Ich habe auch an einer Montessori-Schile gearbeitet und ich muss dir ganz ehrlich sagen, dass dies die einzige Schule wäre, die ich für meine beiden blonden Jungs nicht wählen würde. Altersgemischte Gruppen von an die 25 Kindern, die in der Freiarbeit versuchen, sich ihren Lernstoff selbst zu erarbeiten und teilweise auf sich selbst gestellt waren, das möchte ich nicht für meine Kinder.
Ich denke, letzen Endes, kommt es ausschließlich auf die Lehrperson an, die unsere Kinder begleitet. Und damit bin ich ja nicht alleine (s. Hattie).
Ich bin ziemlich enttäuscht zu lesen, dass du den Kolleginnen in Regelschulbereich nicht zumutest, vom Kinde her zu entscheiden und an zu starren Vorgaben festzuhalten. Längst ist es Usus, dass Kinder individuellen Lernstoff erhalten. Wochenpläne unterrichten wir seit ewigen Zeiten. Bei uns sind die Klassen durchgängig, auch wenn wir jahrgangsgebunden unterrichten.
Versteh mich bitte nicht falsch, ich weiß durchaus, dass nicht alles Gold ist, was glänzt und wir alle wünschen uns nichts mehr als Entlastung für unsere Kinder, aber es ist längst nicht so trüb wie geschildert.
Abgesehen davon bin ich immer wieder erstaunt davon, wie besorgt viele Eltern vor Schulbeginn sind.
Vertraut auf eure Kinder. Die schaffen das schon!
Alles Liebe für deinen Weg als Lehrerin!
Liebe Dorothee,
danke für deinen Kommentar. Ich habe selbst in der “normalen” Grundschule, die für uns in Frage kommen würde, gearbeitet und sehe da jedes Problem, welches du beschreibst. Dort ist der Unterricht so, wie zu meiner Schulzeit und das hat leider wenig mit Individualität zu tun. Wie du gelesen hast, sehe ich es aber auch mit kritischen Augen, denn nicht jedes Kind ist für jede Alternative geeignet. Ich glaube diese Entscheidung muss mit dem Bauch getroffen werden, denn den goldenen Weg gibt es nicht….Liebe Grüße